Moria – ein Ort des Leidens

Die menschenunwürdige Situation in einem griechischen Flüchtlingslager

23.11.2020 | 11:55 Uhr

Im Jahr 2015, ebenso wie in den darauffolgenden Jahren, ging es in Deutschen Medien fast ausschließlich um ein Thema, die sogenannte Flüchtlingskrise. Im Zuge dessen wurde hitzig diskutiert über Aufnahme, Rettung, Abschiebung und das umstrittene Wort „Obergrenze“. Das Land hat sich gespalten und die Politik ebenfalls. Heute, im Jahr 2020, redet allerdings kaum mehr jemand über dieses Thema. Man hat größere Probleme oder besser gesagt Probleme, die unser Leben jetzt unmittelbar beeinflussen, vielleicht sogar gefährden. Die Corona-Pandemie wütet seit ungefähr 9 Monaten in Deutschland und die Konsequenzen sind deutlich spürbar. Ganz im Gegensatz zu dem Schicksal der Flüchtlinge die nach wie vor täglich in Europa ankommen. Sie werden schnell übersehen und noch schneller vergessen, sogar unmittelbar vor unserer Nase.

Es gibt allerdings Ausnahmen, so zum Beispiel der deutsche Arzt Prof. Dr. Gerhart Trabert und sein Verein Armut und Gesundheit in Deutschland. Sie nehmen sich seit gut 23 Jahren armen, notleidenden Menschen an und neben vielen lokalen und nationalen Projekten agiert die Organisation auch international, in diesem Fall in Griechenland. Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos liegt hierbei im Fokus, denn die Bedingungen dort sind katastrophal. In dem für ursprünglich 2.800 Personen konzipierten Lager lebten teilweise bis zu 20.000 Menschen. Moria schaffte es dann im September diesen Jahres als eines der wenigen Flüchtlingslager überhaupt in die Medien, und das aus einem tragischen Grund. Nahezu das komplette Lager brannte ab und musste evakuiert werden.

Die ohnehin schon schwierige Situation wurde also noch kritischer als über 12.000 Menschen in Folge des Brandes plötzlich obdachlos wurden. Die griechische Regierung handelte zwar, aber nicht im Sinne der geflohenen Menschen. Auf einem alten Militärübungsplatz wurde ein neues Lager errichtet, wie sich herausstellen sollte völlig fehlplatziert. Noch dazu wurde eins der anderen, eigentlich gut laufenden Camps auf der Insel geschlossen was zu einer weiteren Verschlechterung der Situation in Moria führte. Nimmt man dann noch die Ausbreitung des Coronavirus hinzu ergibt sich ein erschreckendes Bild. Und ein Verdacht erhärtet sich, dass nämlich die griechische Regierung mit dem Lager und seinem Zustand ein abschreckendes Signal senden will.

Dr. Trabert war sowohl in dem alten als auch in dem neuen Lager vor Ort und er beschreibt die Situation nach dem verheerenden Brand wie folgt:“Ich hatte den Eindruck ich bin in Slums in Bangladesh oder Indien und nicht in Europa.“ Vor allem die mangelnde Hygiene und die kaum vorhandene medizinische Versorgung sind Grund zur Sorge. Es gibt kein sauberes Trinkwasser und die Menschen haben kaum Zugang zu sanitären Anlagen. Krankheiten, zum Beispiel Corona, breiten sich rasant aus und die Chance das Virus einzudämmen geht gegen Null, denn Tests sind ebenfalls kaum verfügbar. Wir reden hier von Menschen mit lebensbedrohlichen Verletzungen, die nicht im Krankenhaus aufgenommen werden, weil sie keinen negativen Coronatest vorweisen können. Von schwangeren Frauen, die ihr Kind nicht mehr spüren und gar nicht wissen, ob es überhaupt noch lebt. Von Menschen mit Behinderungen oder Handicaps, für die das Leben im Lager annähernd unmöglich ist. Prof. Dr. Trabert und seine Organisation setzen sich jetzt besonders für die letzte Gruppe ein, denn irgendwo muss schließlich angesetzt werden.

Der Ort an dem das neue Lager errichtet wurde ist vor allem deshalb so schlecht weil es dort sehr stürmisch und im Winter unglaublich kalt wird. Starke Regen-oder Schneefälle sorgen dafür, dass das ganze Lager überflutet wird und das Wasser macht auch vor den Zelten keinen Halt. Gerade Menschen im Rollstuhl oder auf Krücken können sich dort kaum noch fortbewegen und in den Unterkünften wimmelt es von Ratten und Ungeziefer. Infektionen sind vorprogrammiert und ärztliche Hilfe ist weit entfernt, manchmal sogar geradezu inkompetent. Er berichtet von respektlosen, offen rassistischen Ärzten und Fällen, in denen die Diagnose mehr als falsch war. So zum Beispiel im Fall des jungen Syrers Wael. Er zog sich bei einer Explosion eine Deformierung de Fußes zu und die Ärzte in Griechenland haben ihm gesagt, der Fuß müsse amputiert werden sonst bekäme er Krebs. Dr. Trabert findet klare Worte, diese Diagnose ist „vollkommener Schwachsinn“.

Mittlerweile geht es Wael allerdings wesentlich besser und das liegt vor allem daran, dass der junge Mann seit geraumer Zeit in Deutschland, genauer gesagt in Frankfurt ist. Zusammen mit seinem Freund Abdul Karim ist Wael über den Verein Armut und Gesundheit aus dem Lager hierher geflogen und wartet nun darauf, von den Behörden anerkannt zu werden. Abdul hat eine nicht weniger bewegende Geschichte. Der junge Mann ist aus Damaskus geflohen und an der türkischen Grenze angeschossen worden. Die Türken haben ihn allerdings nicht aufgenommen, woraufhin er in ein syrisches Krankenhaus kam. Dort hat man ihm gesagt wenn er hier bleibt stirbt er. Seine Freunde haben ihn dann gepackt und erneut in die Türkei getragen, dort hat man ihn dann letztendlich doch aufgenommen. Seitdem ist Abdul aber leider querschnittsgelähmt.

Dennoch ist die Aufnahme der beiden Männer ein Erfolg für Dr. Trabert, denn er will erreichen, dass vor allem gehandicapte und behinderte Menschen aus dem Lager geholt und auf Europa verteilt werden. Abdul und Wael waren nämlich die ersten beiden körperbehinderten Flüchtlinge die aus humanitären Gründen in Deutschland aufgenommen wurden und zwar außerhalb des offiziellen Kontingentes. Und hier wollen Dr. Trabert und sein Team ansetzen. Sie sind dabei eine Liste zu erstellen mit Fällen, in denen gehandicapte Menschen dringend evakuiert werden müssen. So wollen sie zum einen wieder ins Gespräch mit dem Integrationsministerium und der Staatskanzlei kommen und zum anderen ein Partnerschaftsprojekt auf den Weg bringen. Dazu wird es dann auch Steckbriefe der betreffenden Personen geben.

Ein anderes Ziel sind unter anderem auch Spenden generieren für die Bereitstellung und Produktion von Prothesen. Das Lager besteht zu einem großen Teil aus Flüchtlingen die aus Kriegsgebieten kommen und Amputationen sind an der Tagesordnung. So wie in dem Fall der jungen Afghanin Zenaib. Die junge Frau hat ihr Bein verloren und in dem Flüchtlingslager Moria hat sie keine Chance auf eine Prothese, denn dort gibt es eigentlich keine Prothesenhersteller. Aus diesem Grund hat das Sanitätshaus Lammert Zenaib eine Prothese angefertigt und ihr Leben in dem Lager so unglaublich verbessert. Aber auch wenn Traberts Team und ihre Partnerorganisationen so für Besserung sorgen ist das große Ziel trotzdem die vollständige Evakuierung des Lagers, denn die Situation ist nach wie vor inhuman.

Und Deutschland muss vorweggehen. Mit der Versorgung des Lagers, der Aufnahme von Flüchtlingen und der Evakuierung. Aktuell fällt die Hilfe allerdings eher spärlich aus. Dr. Trabert äußert auch hier Kritik an Deutschland, denn aktuell werden zwar 1.553 Flüchtlinge von fünf verschiedenen griechischen Inseln aufgenommen, allerdings bedeutet das für Moria, dass nur ungefähr 750 Menschen die Chance auf ein Leben in Deutschland bekommen. Auf die 7.500 Menschen hochgerechnet, die dort aktuell leben, ist das ist zu wenig. Gebunden ist diese Aufnahme auch an einen weiteren Faktoren, es werden nur unbegleitete Kinder und Jugendliche aufgenommen bei denen außerdem der „Status gesichert ist“, d.h. diese Menschen müssen alle bereits anerkannt sein. Abdul und Wael waren eine Ausnahme und hierfür hatten sich unter anderem auch die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Familienministerin Anne Spiegel eingesetzt.

Allerdings merkt Dr. Trabert auch an, dass in Deutschland wenigstens noch darüber diskutiert wird, in anderen Ländern, beispielsweise Frankreich ist die Aufnahme der Flüchtlinge aktuell nicht einmal Thema. Die griechische Regierung plant derweil das abgebrannte Lager wieder aufzubauen und das aktuelle Lager auszubauen, die Verhältnisse bleiben allerdings dieselben. Für Dr. Gerhart Traber und seinen Verein steht aber eines fest: die Evakuierung der beiden jungen Männer, Abdul und Wael, war nicht das Ende sondern der Anfang. Sie werden weiter kämpfen für Menschen in Not, komme was wolle. Wenn ihr jetzt auch gerne helfen möchtet und den Verein Armut und Gesundheit bei ihrer wichtigen Arbeit unterstützen möchtet, besucht doch mal deren Website.

Quelle: ADAC